Rätter für Anstalts-Pädagogik
: Herausgegeben von -er ♦
pädagogischen Stiftung LaMneum in Donauwörth
2. Jahrgang 1912 Nummer 1
Zum Geleit — Lebenskunde in der Anstalt: Vom Schweigen — Zur Ge--
vlU/UU • schichte der Anstalts-Pädagogik: Anstaltsleben vor hundert Jahren —Meinungs
austausch: Kontrolle der Korrespondenz — Darf verlangt werden, daß die Zöglinge vor dem
Gang zur Beichte gemeinsam und einzeln ihre Vorgesetzten um Verzeihung bitten — Erfah
rungen aus einer Strafanstalt für Jugendliche — Praktische Winke: Unterhaltungs- und
Beschäftigungsmöglichkeiten — Stellenvermittlung — Lektüre — Organisationsarbeit: Aus-
:: bildungskurs — Anfragen — Sprechstelle der Schriftleitung ::
Zum Seleit.
gottlob; das ist endlich einmal auch für uns etwas!" So frohlockte eine
Schweizer Klosterfrau, als wir die erste Versuchsnummer der ,Blätter für
Anstalts-Pädagogik' im November 1910 hinausschickten. „Ein glücklicher Gedanke,
die Erziehung in den Anstalten nunmehr auch eigens zu behandeln!" schrieb ein
bayerischer Waisenhaus-Inspektor. Und ein Seminardirektor aus Böhmen meinte:
„Schade, daß die .Blätter für Anstalts-Pädagogik' nur viermal im Jahre er
scheinen. Es wäre reichlich Stoff für eine monatliche Ausgabe vorhanden."
Nun: wir haben es deutlich gespürt, wie das Interesse an der Anstalts-Päda
gogik immer mehr wächst; schon der 1. Kurs für Anstalts-Pädagogik (1910) über
traf unsere Erwartungen. Auch der 2. Kurs (1911) hatte recht glücklichen Ver
lauf. Sogar in der Literatur macht sich die angeregte Bewegung, wenn auch noch
schwach, so doch schon bemerkbar. Regstes Interesse zeigte sich auch auf den spe
ziellen Kursen für Fürsorge-Erziehungsanstalten, welche in Bonn, München und
Breslau (1910, 1911) abgehalten wurden. Ich konnte an diesen Veranstaltungen
teilnehmen und habe mich an dem Eifer der Kursisten geradezu erbaut. Wie sie
sich freuten, daß ihnen Gelegenheit zur gegenseitigen Aussprache, zu Anfragen und
Anregungen geboten wurde! Gerade bei diesen Anlässen hatte sich meine Ueber
zeugung verstärkt, daß unsere .Blätter für Anstalts-Pädagogik' nicht überflüssig sind,
daß sie vielmehr einem längst gefühlten, aber noch nicht zielbewußt befriedigten
Bedürfnisse entsprechen. Es war daher nicht unschwer zu erreichen, daß die Bor
standschaft der „Pädagogischen Stiftung Cassianeum" den Vorschlag, man möge die
.Blätter' alle Monate erscheinen lassen, alsbald billigte. Ist es ja Aufgabe
dieser Stiftung, „zuerst und zumeist der grundlegenden Familien-Erziehung und
ihren Ersatzformen (in Kinderbewahranstalten, Waisenerziehung, Jugendfürsorge
und dergleichen) zu dienen."
Anstaltserziehung aber ist und bleibt zunächst Familien-Ersatzerziehung.
Das sollte grundsätzlich nicht vergessen werden. Der ganze Geist in den Er
ziehungsanstalten sollte davon Zeugnis ablegen. All die Schwierigkeiten, welche
die Anstaltserziehung mit sich bringt, da sie ihrem Wesen nach mit Fremdbeziehungen
zwischen Erzieher und Zögling, zum Teil auch zwischen Zögling und Zögling zu
tun hat, müssen weichen, wenn der Zauber des Familiengeistes, des familienhaften
Zusammenlebens, einzieht.
In dieser Forderung stecken freilich selbst wieder liefere Probleme, ja eigentlich
gerade die Fragen, welche uns das Recht geben, von einer eigenenAnstalts-
Pädagogik zu sprechen.
Dadurch, daß die Kinder und Jugendlichen aus dem Familienleben heraus in
die nach eigenen Normen und Lebensgewohnheiten geleiteten Anstalten versetzt
werden, erlebt das kindliche, bezw. jugendliche Individuum eine Wandlung seiner
Verhältnisse, welche unmöglich ohne bestimmte und bestimmbare Eindrücke auf seine